Es geschah kürzlich am anderen Ende der Welt. Wir waren auf Besuch in der nagelneuen Tompotika Diving Lodge, einem winzigen Tauchresort direkt an der Ostspitze von Zentralsulawesi in unserem Lieblingsland Indonesien. Vor uns die Weiten der Molukken See und wir im Umkreis von drei Autostunden die einzigen weißhäutigen „Langnasen“. Gewöhnungsbedürftig auch die Tatsache dass die gerade mal drei Bungalows inklusive Tauchbasis zwar direkt am Strand, aber mitten in einem (muslimischen) Dorf liegen. An herzlichem Kontakt zu den Einheimischen sowie zu deren freilaufenden Ziegen, Hunden und Hühnern hat es genau so wenig gefehlt, wie den freundlichen frühmorgendlichen Weckrufen des Muezzins sowie den lautstarken Hochzeitspartys drei mal die Woche.
Nach etlichen tollen Tauchgängen an prächtigen Korallenriffen die vom Coral Bleaching bislang völlig verschont geblieben sind, steht heute ein Nachttauchgang am Plan. Also wieder mal Anzug an, rauf aufs Boot und keine 10 Minuten später zwischen zwei vorgelagerten Felsinselchen mit Rolle rückwärts rein ins Wasser. Bei rabenschwarzer mondloser Nacht tauchen wir über blühende Steinkorallengärten zu einem Sandhang im 15-Meter-Bereich der von einigen Korallenblöcken aufgelockert wird. In einigem Abstand folgen wir Guide und Tauchbasenleiter Opo, einem netten Indonesier aus Manado mit dem ich übrigens schon vor genau 10,5 Jahren vor Nordsulawesi getaucht habe. Nach der ersten halben Stunde halten sich die Highlights in Grenzen – eher ein durchschnittlicher Nachttauchgang mit vielen Krabben, Einsiedlerkrebsen, Garnelen, schlafenden Korallenfischen, ein paar Nacktschnecken und einem zugegeben außerordentlich farbenfrohen Plattwurm – nicht schlecht, aber eben keine Sensationen. Doch dann – wie so oft im Leben – plötzlich das Unerwartete. Ich folge meinen beiden Buddys in einigen Metern Abstand und leuchte gerade einen stattlichen Block an, als mir ein unscheinbares, kleines Ding ins Auge sticht. Ganz blass und zusammengekauert hockt da ein winziger Oktopus im Riff zwischen Schwämmen, Hydrozoen und einer Goldseescheide. Kaum zwei Zentimeter lang war es zugegeben purer Zufall den kleinen Kerl zu entdecken. Ganz zartbläuliche, kaum sichtbare Ringe auf der milchig weißen Haut signalisieren mir innnerhalb von Sekundenbruchteilen: „Wow du hast einen Bluering Octopus gefunden! Hurra!“ Sofort beginne ich zu fotografieren um zumindest ein Beweisfoto in der Tasche zu haben. Doch der Stress ist unbegründet. Die halb daumengroße Krake lässt sich in keinster Weise stören und erduldet das Shooting völlig bewegungslos. Durch mein Blitzlichtgewitter angelockt, sind auch Babsi und Opo hellauf begeistert. Nun erst beginnt das kleine Kerlchen zu meiner Freude langsam die Farbe zu verändern. Das fahle Weiß wird zum deutlich fotogeneren Gelb und auch die hellblauen Ringe werden intensiver. Immer nur für einen winzigen Augenblick leuchten die Ringe sogar intensiv strahlend blau auf – eine geradezu pulsierende Warnung!
Nicht umsonst zählen die Blaugeringelten Kraken – wie sie auch auf Deutsch heißen – zu den gefährlichsten Meerestieren. Wie nicht erst seit dem James Bond Klassiker (Octopussy) der 80er Jahre bekannt, kann man am Gift der bildhübschen Kopffüßer sterben. Sie verfügen über ein starkes Neurotoxin (ähnlich dem der Kugelfische) das nach einem Biss die Atemmuskulatur lähmen und so ohne künstliche Beatmung zum Tod führen kann. Tatsächlich passiert das allerdings extrem selten und meines Wissens war noch nie ein Taucher betroffen. Interessanterweise können die Tiere übrigens ihr Gift gar nicht selbst produzieren, sondern es stammt von Bakterien die quasi in der Speicheldrüse der Blauringkraken kultiviert werden.
Es gibt vermutlich mindestens 10 verschiedene Arten von Bluering Octopus, wovon die Mehrzahl noch nicht wissenschaftlich beschrieben worden ist. Auch sind nicht alle Arten gleich giftig und vor allem kommen sie zumindest teilweise in unterschiedlichen Lebensräumen vor. So sind einige Arten ausgesprochene Feinsedimentboden-Bewohner, während man andere direkt im Riff antrifft. Was viele Taucher nicht wissen: manche Arten kommen leider auch ganz im Flachwasser – bevorzugt in Gezeitentümpeln – vor. „Leider“ deswegen, weil genau hier die meisten Unfälle passieren. Einheimische Kinder spielen oft in den Pfützen am Riffdach und greifen dabei gelegentlich auch nach den kleinen Kraken die zumindest in der Hand dann so schön blau leuchten …
Tauchern gegenüber verhalten sich Blauringkraken meist sehr zurückhaltend und ohne dass man sie stresst zeigen sie kaum ihre auffallende Warnfärbung. Manchmal reicht es schon wenn man ihnen mit der Kamera nahe kommt oder sie auf der Flucht verfolgt. Ganz träge und unkooperative Fotomodels lassen sich durch eine schnelle Handbewegung die einen plötzlichen Schatten auf sie wirft erregen. Das sollte jedoch das höchste der Gefühle sein die friedlichen Tiere zu stören. Bitte übereifrige Tauchguides zurückhalten, die mit ihren Zeigestäbchen auf Blauringkraken klopfen um ihnen eine höhere Farbintensität zu entlocken!
Inzwischen hat sich unser kleiner Oktopus etwa 30 cm fortbewegt. Ganz langsam, ja fast bedächtig kriecht er durchs Riff. Perfekt für mich! Mal präsentiert er sich mit rotem Schwammhintergrund, mal halbwegs freigestellt zwischen Korallen und ein mal erklimmt er sogar – sich prächtig in Pose werfend – eine wunderschöne Goldseescheide! Bei obigem Bild schwimmt er gerade ein kurzes Stückchen und wird von meinen Blitzen fast nur von schrägem Streiflicht getroffen.
Nach einer ausgiebigen Fotosession lassen wir den Kopffüßer endlich zufrieden und beenden den Tauchgang allesamt mit einem breiten Grinsen. Nur Guide Opo ist kurzzeitig ein wenig unzufrieden, hat er doch wenige Augenblicke vor mir den Block abgesucht und den begehrten Critter nicht entdeckt …
Bei unserem Exemplar handelt es sich vermutlich um ein Jungtier des Großen Blauringkraken (Hapalochlaena lunulata), der ausgestreckt mitsamt Armen mehr als 10 cm lang wird.